Brückners Zeitzeichen
Richtig ticken:
Die Uhr als Networking-Instrument
Worauf kommt es an, wenn die Konjunktur stottert und am Arbeitsmarkt als direkte Folge die Gesetze Darwins mit besonderer Konsequenz umgesetzt werden? Dutzende von Ratgeber-Autoren aus dem In- und Ausland können nicht irren: Sie empfehlen gezieltes Networking. Das Knüpfen von neuen Kontakten ist bereits so essentiell für die Volkswirtschaft, dass auf Tagungen nicht mehr wie früher triviale „Kaffeepausen“ eingeplant werden. Heute nutzt man die Zeit zwischen zwei Powerpoint-gestützten Langweiler-Vorträgen für eine „Networking-Pause“. So macht die Anwesenheit zumindest Sinn. Allerdings will natürlich auch gutes Netzwerken gelernt sein. Selbstverständlich kann man auf der fachlichen Ebene Kontakte anbahnen, vorausgesetzt freilich, die Networking-Teilnehmer kommen aus derselben Branche.
Was aber, wenn sich zwei Zeitgenossen aus völlig unterschiedlichen Bereichen treffen. Worüber sollte zum Beispiel ein HNO-Arzt mit einem Banker sprechen? Über Krankheiten? Über sinnvolle Alternativen der Geldanlage? Beide Themen sind ungeeignet, denn in jedem Fall könnte nur einer der Networker profundes Know-how einbringen. Also muss ein neutrales Thema her. Kommen wir gleich zur Praxis: Es begab sich dieser Tage, dass ein Banker aus dem Rhein-Main-Gebiet einen HNO-Arzt aufsuchte. Nachdem die medizinischen Fragen geklärt waren, blickte der Patient dem Doktor neugierig auf’s Handgelenk: „Darf ich mal Ihre Uhr sehen?“, fragte er unvermittelt. Der Arzt fühlte sich geschmeichelt und präsentierte stolz seinen Zeitmesser aus Schweizer Provenienz. Auch der Ex-Banker nahm seinen Chrono vom Handgelenk – und beide hatten ein gemeinsames Thema gefunden. Drei Tage später trafen sie sich abends in einem Weinlokal und sprachen bei mehreren Gläsern Riesling ausführlich über Uhren. Kein Sterbenswörtchen fiel hingegen über Krankheiten und Anlageempfehlungen. Aber der Arzt hatte einen Patienten und der Banker einen Kunden gewonnen.
Uhren zeigen nicht nur die Zeit an, sie sind überdies ein hervorragendes Thema für erfolgreiches Networking und geistreichen Small-Talk. Der Autor hat über diesen Weg in der Vergangenheit sogar den einen oder anderen Kunden gewonnen. Vor allen Dingen kann man mit diesem Thema nichts falsch machen, sofern nicht allzu protzig aufgetragen wird. Wer kann schon etwas gegen mechanische Uhren haben? Bei einem engagierten Öko-Aktivisten konnte ich sogar nachhaltig punkten, als ich glaubhaft versicherte, ich trüge nur deshalb mechanische Uhren, um die Umwelt nicht mit verbrauchten Batterien aus Quarzuhren zu belasten.
Dennoch birgt das Thema „Uhren“ im Network-Talk durchaus Gefahren. Es gibt – zugegebenermaßen für mich völlig unverständlich – Menschen, die es zumindest als fragwürdig empfinden, wenn man relativ viel Geld in Uhren investiert. Zwar geben jene Leute, die über uns die Nase rümpfen, meist nicht minder hohe Beträge für andere schöne Dinge des Lebens aus. Dennoch: Uhrenliebhaber müssen immer mit dem latenten Risiko des Neides leben. Nun ist Neid zwar die höchste Form der gesellschaftlichen Anerkennung, doch diese Erkenntnis hilft nicht wirklich weiter, wenn man vom Neider etwas erwartet.
Also legte ein mittelständischer Speditionsunternehmer aus Süddeutschland, der seit Jahren der Uhrenleidenschaft frönt, seine nicht ganz preiswerten Zeitmesser stets ab, wenn er Kunden empfing. Für solche Fälle hatte er sich im Kaufhaus eine sehr preiswerte Quarzuhr zugelegt. Schließlich wollte er keinen Neid hervorrufen, sondern einen Auftrag für sein Unternehmen an Land ziehen. Das ging lange gut. Doch dann geriet er an den Falschen: „Als so erfolgreicher Unternehmer sollten Sie sich aber mal eine andere Uhr gönnen“, sagte ihm ein Kunde auf den Kopf zu.
Peinlich. Aber egal, welchen Weg man geht – Fettnäpfchen stehen überall.