Brückners Zeitzeichen
Was machen Alphatiere mit ihren Abo-Zwiebeln?
Bei der Akquisition neuer Leser bedienen sich viele Verlage seit Jahren einer offenkundig einigermaßen erfolgreichen Strategie: Wer sich für ein Abonnement entscheidet, erhält als Zugabe eine Uhr. Wie mir Marketingmanager in Großverlagen inzwischen berichteten, ist kein anderes Geschenk so begehrt wie eben der kostenloser Zeitmesser. Und wie es der Zufall wollte, traf ich einen der so Beschenkten unlängst im Zugrestaurant zwischen Hamburg und Frankfurt. Ich kam gerade vom ersten Uhrensalon in der Hansestadt und schmökerte neugierig in den Prospekten kleiner Manufakturen, was mein Gegenüber sofort bemerkte und gnadenlos als Einstieg in eine Konversation nutzte, mit der er mich von Hannover Hauptbahnhof bis Fulda begleitete. Triumphierend schnellte er mit seinem linken Arm über den Tisch, brachte das Weinfläschen bedrohlich zum Wanken und hielt mir seine Uhr unter die Nase – ein Quarzmodell aus der eher unteren Preiskategorie. „Was, glauben Sie, habe ich dafür bezahlt. Nun, raten Sie mal“, fragte er mich ungeduldig und mit den leuchtenden Augen eines Spielers, der noch ein Ass im Ärmel hat. Als höflicher Mensch antwortete ich diplomatisch, mir sei diese Marke absolut fremd, aber das Design sei interessant. Nun weiß bekanntlich jeder, was es bedeutet, wenn irgendetwas „interessant“ ist. Ein interessantes Ergebnis eher mittelmäßiger Kochkunst heißt zum Beispiel, dass die Speise beinahe schon gegen die Antifolter-Konvention der Vereinten Nationen verstößt.
Aber wie gesagt, an diesem herrlich sonnigen Nachmittag war ich gern bereit, jedem das Kompliment zu machen, das er gerade hören wollte. So auch in diesem Fall. „Eine interessante Uhr. Passt sehr gut zu Ihnen“, sagte ich – und war mir der Doppeldeutigkeit dieser Äußerung durchaus bewusst. „Sehen Sie. Und was glauben Sie, habe ich dafür bezahlt....? Ich sag’s Ihnen. Keinen Cent. Ich habe einfach nur eine Wochenzeitung abonniert“. Ich konnte zwar nicht abschätzen, ob die Dauer des Abo die Lebenserwartung der Quarz-Zwiebel übersteigen wird (eher unwahrscheinlich), doch ich beglückwünschte den redseligen Mann und wir stießen auf diesen gelungenen Deal an.
Eine ähnliche Uhr entdeckte ich wenig später in einem Magazin, das sich gezielt an die Elite der deutschen Wirtschaft wendet. Jedenfalls lässt der Titel dies vermuten. Jede Führungskraft, die sich für ein Abo entscheidet, bekommt zur Belohnung eine Billiguhr. Sonderbarerweise berichtet besagtes Magazin aber immer mal wieder darüber, welche Uhren Manager und Unternehmer tatsächlich an den Handgelenken tragen. Einen Abo-Billigheimer habe ich noch nie gesehen.
Wäre auch schlimm. Und mit dieser Meinung stehe ich nicht allein. Wie heißt es im „Uhrenheft“ von Nomos Glashütte an einer Stelle goldrichtig? „Wer sich mit Anzug, Schuhen, Tasche und dem Inhalt des Kopfes ein bisschen Mühe gibt, will sich auch für seine Armbanduhr nicht schämen müssen“. Wenn es nun aber – was ich nicht glauben mag – tatsächlich Führungskräfte mit Abo-Zwiebeln gibt, was bedeutet dies dann im Umkehrschluss bezüglich des Inhalts ihrer Köpfe? Die Antwort wäre ungebührlich. Streichen wir diese Frage.
Was also stellen deutsche Manager und andere Mitglieder der Führungselite mit ihren geschenkten Uhren an? Verkaufen Sie diese Zeitmesser insgeheim bei ebay für einen Euro pro Stück? Wäre aufwändig und ertragsschwach. Verschenken sie die Uhren an verdiente Mitarbeiter zum Jubiläum oder zur Verabschiedung in den „verdienten Ruhestand“? Tragen sie die Uhren bei Gesprächen mit knauserigen Kunden oder bei allfälligen Betriebsprüfungen? Ganz nach dem Motto: „Schaut, Ihr braucht nicht neidisch zu sein. Ich muss schon ein Monatsmagazin abonnieren, um überhaupt eine Uhr zu besitzen“.
Ich bin, offengestanden, überfragt. Und deshalb nehme ich diskrete Hinweise jederzeit entgegen. Gern auch anonym im Zugrestaurant.